Malerei als Behauptung und Zumutung

Georg Frauenschuh im Gespräch mit Christa Benzer

CB: Ich dachte, wir könnten voranstellen, dass das ein sehr malereispezifisches Gespräch wird. Das heißt, wir reden nicht über den Zustand der Welt oder deine politische Haltung. Hängt es mit dem Medium Malerei zusammen, dass du, ein sehr politischer Mensch, hier schon ganz andere Dinge verhandelst?

GF: Das hat auch mit der Zeitlichkeit des Mediums zu tun. Malerei hat ja den Anspruch, etwas länger zu bestehen. Für die tagespolitische Empörung suche ich mir andere Kanäle. Allerdings verstehe ich meine Bilder nicht als unpolitisch. Meine Haltung fließt ja vielmehr automatisch mit ein.

In deiner Malerei treffen Elemente ganz unterschiedlicher Bildwelten aufeinander: Da ist die malerische Welt, die in sich schon sehr heterogen ist. Eine andere ist die Welt der sogenannten Cliparts, die auf das Internet verweisen, und dann gibt es noch die Räume, die als „Container“ für diese Inhalte fungieren. Sie basieren auf Fotos? Wie müssen die Räume oder Orte beschaffen sein, damit du ein Foto machst?

Das hängt damit zusammen, wie ich überhaupt zu diesen Räumen, vermeintlich narrativen Räumen, gekommen bin. Bis 2015 waren es vor allem abstrakte Malereiräume, in denen ich Fremdkörper, vor allem Clipart-artige Fragmente platziert habe. Es ist mir um die Überlegung gegangen, ob man einen abstrakten Raum behaupten kann, obwohl man eigentlich eine Narration vorgibt. Das ewige Dilemma in der Malereigeschichte des 20. Jahrhunderts. Zunächst habe ich über eine formale Analyse, also einen recht distanzierten Zugang generische Orte verwendet: Internetbilder, Real Estate-Annoncen etc. Mit den Möglichkeiten des Smartphones war es naheliegend, diese Orte auch selbst zu fotografieren, wenn ich auf sie gestoßen bin. Es war ja nicht vorbestimmt, dass diese Bilder generisch sein müssen und mit mir nichts zu tun haben dürfen.

Wieso haben dich die Orte interessiert?

Es war oft ein sprachlicher Impuls: Ich hatte Wörter im Kopf wie Hobbykeller, Dachgeschosswohnung oder auch Jugendzimmer. Es gab wohl auch einen privaten oder vielleicht biografischen Impuls. Von den privaten Räumen hat sich mein Interesse dann immer mehr in die öffentlichen oder auch halböffentlichen Räume verlagert.

Wieso brauchst du den Raum überhaupt? 

Angefangen hat das mit einer Art Test. Es gab eine Phase, in der es auf meinen Bildern keinen Weißraum mehr gab, in der die Leinwand quasi „voll“ war mit Malerei. Ausgehend davon, war es eine „Befreiung“, Teile des Bildes weiß zu lassen. Tatsächlich hat sich daraus aber eine perspektivische Andeutung ergeben, die einen Raum aufmacht. Das hat sich immer mehr zugespitzt und ist vermeintlich narrativer geworden. Jetzt stecke ich mitten im Feld der gegenständlichen Malerei.

Weiße oder eben unbemalte Stellen gibt es auf deinen Bildern immer noch.

Das war eine wichtige Errungenschaft. Bis 2015 habe ich auf einen Totpunkt hingearbeitet: Das heißt, die weiße Leinwand war bis zur Gänze mit Formulierungen, die aber alles andere als ausdrucksstark sein sollten, bedeckt. Geschmiere und Gekritzeltes waren vorherrschend und die Erkenntnis, dass es keinen Unterschied zwischen einer subversiven und einer affirmativen Geste gibt.

Wieso nicht?

Jasper Johns war für mich ein Repräsentant jener Malerei, der die Geste als Geste schon reflektiert und gefiltert hat. Im Gegensatz zu Robert Rauschenberg, bei dem die Geste etwas sehr Impulsives hatte. Es handelt sich dabei um Gesten, denen man Kraft, Aufrichtigkeit und sogar Wahrheit zuschreiben würde, Talent sowieso; Wertvorstellungen also, von denen ich mich schon früh emanzipieren wollte. Und dennoch kann ich mich der „Kraft“ dieser Gesten nicht entziehen, was meine Betrachterposition hier ungeklärt und lebendig macht. Bei Amy Sillman scheinen im Vergleich beide von mir gerade beschriebenen Anlagen der „Geste“ präsent zu sein. Aber weder verlässt sie sich auf die Allgemeingültigkeit und das Charisma der Geste (wie Rauschenberg), noch lässt sie diese zur Formel oder Floskel verkommen. Sie selbst, glaube ich, spricht auch von einer gegenderten Geste.

Wirkt sich dieses Wissen um die Geste beim Malen aus?

Nicht mehr. Aber ich erinnere mich, mich gehindert gefühlt zu haben, eine malerische Geste zu setzen: aus der Befürchtung heraus, diese nicht wirklich zu „meinen“ und auch aufgrund der gegenteiligen Befürchtung, zu pathetisch zu sein.

Wann kamen die Figuren dazu?

Die Figur ist besonders verhängnisvoll. Eigentlich ist ihre Einführung das Ergebnis eines Prozesses, der zunächst gar nicht stattgefunden hat. Ich hatte keine Figuren und ich hatte keinen Raum, weil ich beides für problematisch gehalten habe. Jetzt ist die Figur dazugekommen, noch dazu die nackte Figur, die ja ein uralter kunsthistorischer Topos ist. Über meine ursprüngliche Skepsis gegenüber der Figur habe ich jetzt diese superpräsente Figur eingeführt.

Die Figuren sind Cliparts, also im Internet kursierende, allgemein verwendbare, symbolhafte Illustrationen von Menschen, aber auch Tieren oder Muster. Kannst du beschreiben, wie du auf sie gekommen bist?

Das war zunächst ein sehr lockeres Spiel mit Sprache. Ich habe versucht, Zustände wie „Verzweiflung“, aber auch „Prozess“ malerisch zu übersetzen und nach Illustrationen gesucht. Die Ergebnisse haben überhaupt nicht mehr zu den Suchaufgaben gepasst, aber das war Teil des Spiels. An der Welt der Cliparts hat mich die Diskrepanz interessiert zwischen der formalen Genese dieser Cliparts, die ja teilweise sehr inflationär auftauchen, und der abstrakten Qualität, die ihnen trotz der Zweckmäßigkeit, sei es in politischen, religiösen oder werbetechnischen Kontexten, innewohnt. Meine Suche nach Räumen war dieser Suche sehr ähnlich, wobei der Trigger wieder die Sprache war.

Dabei sind deine Bilder sprachlich gar nicht so leicht fassbar. Du behauptest, wie ich finde, vielmehr eine Bildhaftigkeit, die sich gar nicht so leicht versprachlichen lässt.

Ich versuche den malerischen Handlungsraum möglichst offen zu lassen. Es gibt nach der malerischen Verarbeitung eines vorher (durch fremde Hand) verbildlichten Wortes keine Sprache mehr, mit der beschrieben werden könnte, was auf dem Bild passiert.

Tatsächlich schreibst du auch, es gibt von dir zwei Dramen. Gehst du beim Texte schreiben irgendwie vergleichbare vor?

Ich sehe das als zwei verschiedene Sachen, aber vielleicht gibt es Ähnlichkeiten in der Konstruktion. Es gibt von mir einen Text über allgemeine menschliche Fragen und Fragen der künstlerischen Produktion, die in einer widersprüchlichen, theatralischen Form verhandelt werden. In der Sprache habe ich aber schon mehr das Gefühl, Gast zu sein, während ich mit der Malerei sehr viel intensiver beschäftigt bin.

Vielleicht können wir im Zusammenhang mit Sprache auch noch über die Bildtitel reden. Sie sind meist recht nüchtern, beschreibend. Du nennst sie „Untitled“ und dann kommt der Ort oder ein Gegenstand dazu, der darauf zu sehen ist. Ein Bild gibt es aber, das heißt „unloved girl“. Das ist narrativ und sehr „einnehmend“, wie du sagen würdest. Wieso hat das Bild diesen Titel?

Das ist ein gutes Beispiel für einen formalen Prozess, der zum Inhalt wird. Auf dem Bild war eine weibliche Figur, die ich anschließend übermalt habe und jetzt nur noch schemenhaft erkennbar ist. „Unloved girl“ beschreibt eigentlich nur diesen malerischen Schritt bzw. die Entscheidung, die Figur wieder wegzunehmen. Ich spiele aber natürlich damit, dass es inhaltlich gelesen werden kann.

Magst du die Figuren? Hast du einen Bezug zu ihnen?

Eigentlich nicht, aber ich bin überrascht, dass sie mich – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – schon involvieren. Den jungen Mann auf dem Bild Untitled (View) mag ich. Er macht das Bild, auf dem die Aussicht aus meinem Atelier im Hintergrund ist, zu einem romantischen, während die Frau mit den nackten Brüsten auf dem Bild Untitled (sports bar) ein aufrechter Widerstand bleibt.

Wieso macht der junge Mann mit venezianischer Maske und einem String-Tanga das Bild für dich romantisch?

Romantisch im Sinn der Epoche: Figur vor Landschaft, wie bei Caspar David Friedrich. Die Attraktivität der Figur ist mir erst im Prozess des Malens bewusst geworden. Es könnte sein, dass er überhaupt die erste Clipart-Figur war und damit die erste nackte Figur, die auf meinen Bildern auftaucht. Er war sozusagen der Durchbruch. Mit ihm hat die nackte Figur auf meinen Bildern Einzug gehalten.

Sowohl die Räume als auch die Cliparts sind aber nicht nur Hüllen. Auch sie erzählen Geschichten, vermitteln Atmosphären?

Sie lösen Assoziationen aus, aber es gibt keinen leidenschaftlichen Zugang. Es geht mir um ein auflösendes Moment. Ich will keine Nostalgie aufrufen, aber das ist das Dilemma mit den Cliparts. Die rasante technische Entwicklung äußert sich auch formal. Dadurch wird das Material, das ich verwende, sehr schnell historisch, obwohl ich die Cliparts als gegenwärtige Elemente einsetze. Aber noch zur Frage, was ihre Aufladung betrifft: Es gibt eine eigene Cliparts-Kollektion namens Alegria. Das sollen die Figuren genau umgekehrt jedem/jeder ermöglichen – sich jenseits von Geschlecht oder Hautfarbe – damit zu identifizieren.

Stimmt, deine Cliparts sind weiß…

…sie sind meistens weiß und auch das Geschlecht drängt sich auf, weil sie ja nackt sind. Ich bin mir bewusst, dass das vor allem beim Frauenkörper sehr verhängnisvoll ist. Es gibt auf einem Bild ein Clipart, das auf eine Weise abstrahiert ist, dass man es auch als den Körper eines Mädchens lesen kann. Das löst sofort starkes Unbehagen aus, obwohl die Figur selbst eigentlich gar nicht diese Kraft hat, etwas Körperliches oder Sexuelles darzustellen. Aber man kann sich nicht darüber hinwegsetzen: Trotz einer uninvolvierten Haltung ist es unmöglich, sich von der Aussage zu distanzieren, die man mit so einem Körper trifft: Der nackte weibliche Oberkörper auf dem Bild Untitled (sports bar) bleibt eine Zumutung. Es bleibt auf dem Bild ein Widerstand, der einen davon abhält, in den Groove des restlichen Bildes einzutauchen.

Die Cliparts sind abstrahiert, comichaft: Aber ja, ein nackter Frauenkörper bleibt ein nackter Frauenkörper, die Frage ist, wo der Unterschied liegt?

Ich habe 2015 eine Serie gemacht, bei der es mir ganz dezidiert darum ging, wie explizit man so etwas Einnehmendes oder Definitives wie Sexualität darstellen kann, ohne die Betrachter*innen affektiv zu verwickeln. Es sind Zeichnungen von Sexszenen, die ich mit den Zeigern von Uhren kontrastiere und so ihre Aussage zu verschieben versuche.

Gibt es andere Maler*innen, die diese Wendung innerhalb eines Bildes deiner Meinung nach schaffen?

Ja, Carroll Dunham zum Beispiel. Er malt pornografische Sujets, wobei es auch sehr um den Malereiraum geht. Er arbeitet auch an diesem Dilemma zwischen Narration und einem abstrakten Bildraum. Wenn man die Bilder im Original sieht, stellt sich vieles als Referenz auf Malereigeschichte heraus, auf Cy Twombly etc. Er bricht auch das Heteronormative, in einer seiner letzten Ausstellung waren etwa nur homoerotische Darstellungen zu sehen. Er spielt damit, dass das, was erst als inhaltliche Aussage da ist, schnell eine ganz andere Richtung nehmen kann.

Und welche Maler*innen schätzt du, obwohl sie dich emotional involvieren?

Munch zum Beispiel und viele weitere Maler*innen, bei denen es um psychische Zustände geht. Die Möglichkeiten, in der Malerei psychische Zustände zu zeigen, interessiert mich natürlich.

Auf dem Bild Untitled (sports bar), von dem wir vorhin geredet haben, bedeckt ein Teil des Kopfes der Frau eine gelbe, länglich-ovale Form. Wäre das ein Beispiel für eine solche Verschiebung?

Ja, das ist vergleichbar mit dem Versuch, durch die Uhren die Bildaussage zu verschieben. Ich wollte die Figur räumlich noch einmal brechen. Sie war mir ohne diesen „Bruch“ zu präsent auf dem Bild. Ich wollte zwar, dass sie präsent bleibt, aber es war mir dann doch zu viel Widerstand. Das sind Maßnahmen im Zuge des malerischen Prozesses, die man laufend verhandeln und entscheiden muss.

Spielt der Zufall eine Rolle? 

Ja, es gibt die Klebestreifen, die sich aus der Zweckmäßigkeit des Abklebens ergeben haben. Ich habe beschlossen, sie auch zu malen und mittlerweile kann ich kaum eine Fläche abkleben, ohne schon zu antizipieren, dass ich sie danach auch male. Dann gibt es impressionistische Elemente, wie auf dem Bild Untitled (View): Es zeigt den Blick aus meinem Atelierfenster, also ein sehr unmittelbarer Zugang. Die Entscheidung, diese Figur ins Bild zu setzen, geschah in einem zweiten Schritt, in einer anderen Tagesverfassung. Interessant ist, dass sich, wie beredet, fast ein romantisches Bild ergibt, aus einer Absicht, die eigentlich distanziert sein will.

Apropos Distanz: Der Titel deines Künstlerbuches ist „Pain’ing“. Damit bringst du etwas ein, von dem ich auch angenommen habe, du willst es möglichst reduzieren.

Meinst du die Reduktion von Pathos und Subjektivität? Oder anders formuliert, die pathetische Annahme beziehungsweise die Tatsache, dass Malerei (painting) mit Leid (pain) zu tun hat?

Ja, das meine ich oder was bedeutet der Titel für dich?

Auch das. Nur wollte ich für mich offenlassen, ob Pathos und Subjektivität reduziert werden oder sich das Pathos sogar steigert.

Es gibt auf deinen Bildern auch konkrete Objekte, ein Aschenbecher, eine Buchhandlung-Walther-König-Stofftasche etc. Haben sie eine Bedeutung für sich?

Eigentlich haben sie keinen symbolistischen Wert, aber ich spiele damit, dass sie Metaphern sein könnten. Das hat sich erst in letzter Zeit zugespitzt: es gibt in den gegenwärtigeren Bildern eigentlich nur noch die Zufallsabstraktion und die nackte Figur und den Raum. Früher gab es noch die Insignien der Malerei, die Palette oder den Pinsel. Manchmal gab es Cliparts mit politischen Inhalten. Als die Bilder räumlicher wurden, sind auch Einrichtungsgegenstände wie ein Aschenbecher dazugekommen oder Objekte, die mich gleichzeitig gelangweilt und interessiert haben.

Es tauchen auch ornamentale Muster – wie auf dem Titel „Untitled (sports bar)“ – auf.

Das sind ebenfalls Cliparts, Zufallsabstraktionen, sehr schnell abstrahierte Muster. Man kennt das von frühen Computerprogrammen, bei denen man Formen bilden und einfärben konnte. Es ist eine abstrakte Formensprache, die wohl vage auf Errungenschaften der klassischen Moderne basiert, die aber durch Programme eine allgemeine, inflationäre Ausformung bekommen hat.

Auf dem Bild „Untitled (hotel lobby)“ hängt das Bild eines Sonnenuntergangs an der Wand. Hast du die Szenerie so vorgefunden?

Ja, das hing dort an der Wand. Es ist ein Bild, wie man es in einem Möbelhaus kaufen kann. Ich möchte die Grenzen zwischen der populären Bilderwelt und der Malerei verschwimmen lassen und die Frage nach den ästhetischen Wertigkeiten erstmal nicht stellen. Mich interessiert das Gegenüberstellen der Elemente und zunächst persönliche Distanziertheit: die Elemente, die ich verwende, sollen in mir nicht viel auslösen, sondern lediglich als Material für die Bilder dienen.

Du verwebst auf deinen Bildern reale Räume mit digitalen Elementen. Welche Rolle spielen die realen Versatzstücke?

Die Realität spielt in meine Bilder hinein. Nicht nur das Virtuelle, aber wenn man sich im urbanen Raum bewegt, gibt es innerhalb eines Blickpunktes auch sehr verschiedene Realitäten, die sich widersprechen, und, wenn man es fotografisch versteht, die sich dann wieder zu einem Bild zusammenfügen. Eigentlich empfinde ich das, was ich mache, ja als Realismus. Es sind Abbilder der Realität. Inklusive der Realität des Virtuellen, die ja auch eingreift in die physische Realität und umgekehrt. Dazu gehört die Erfahrung des Flüchtigen – also dass schnell eine Realität entstehen kann, die dann aber genauso schnell wieder vergessen wird.

Üben deine Bilder Kritik am Digitalen oder ist es die Erfahrung des Post-Internet-Zustandes, um die es dir geht?

Kritik am Digitalen konkret üben die Bilder eigentlich nicht, obwohl ich bestimmte Bildsprachen degradiere oder bloßstelle aufgrund dessen, dass ich sie auswähle und wiedergebe. Den Post-Internet-Diskurs kenne ich ein bisschen. Der Begriff selbst ist eigentlich vermessen, weil ein Post-Zustand von etwas behauptet wurde, bevor die Tragweite des Ausgangsphänomens überhaupt erahnbar wurde. Gleichzeitig beinhaltet der Begriff unabsichtlich auch einen, über kontextuelle Zusammenhänge eingeführten, wenngleich nicht so gemeinten, figurativen und analogen Neo-Konservativismus, zumindest aus der Perspektive des Fortschrittsdenkens des 20. Jahrhunderts. ‚Post’ vor etwas zu stellen, fühlt sich aber befreiend an.

Stimmt, aber Post-Internet ist für mich in dem Fall einfach eine Art Hilfsbegriff, der das Digitale nicht mehr als das Gegenteil vom „Realen“ begreift, sondern als selbstverständlicher Teil unserer Erfahrungswelt. Auf deinen Bildern stehen die Elemente aus den unterschiedlichen Welten ebenfalls nebeneinander. Es gibt da keine Wertung oder doch?

Nein, es soll da keine Wertung geben. Aber vielleicht muss ich mich dem stellen, dass mein Auswahlverhalten, das schließlich bestimmte Bilder und Bildsprachen bloßstellt, auch soziologisch verstanden werden kann. Zugleich rufe ich aber persönliche Erinnerungen wach, auch persönliche Geschmackshaltungen und -verwirrungen. Diese Erinnerungen versuche ich zu generalisieren und in neue formale und zeitliche Zusammenhänge zu bringen.

Ich erkenne deine Absicht, das Subjektive aus deinen Bildern rauszunehmen, aber dennoch: Könnte man dich entdecken in deiner Malerei, wenn man dich gut kennt?

Vielleicht. Ich verabschiede mich ja auch nicht gänzlich vom Subjektiven. Ich denke jetzt zum Beispiel an den Text von Sarah Waring in meiner letzten Publikation. Da gibt es eine Passage, wo sie beschreibt, dass sie auf den Bus wartend, noch in einem Café etwas Zeit verbringt. In diesem Moment, mit dem Spielautomat, der Kaffeetasse und dem Rauch von einer Zigarette, diese Zufälligkeit und ihr Transitzustand als Wartende, da habe sie an meine Bilder gedacht. Das war dann der Impuls für die Erzählung, die sie für das Buch geschrieben hat. In dem Sinne gibt es vermutlich schon die Möglichkeit, mich zu erkennen, meiner Wahrnehmung zu folgen.

Fügst du diese unterschiedlichen Bildelemente zuerst am Computer zusammen?

Ja. Ich gehe von schnellen, flüchtigen Computerskizzen aus. Irgendwann wähle ich eine aus, um sie zum Bild zu machen. Manchmal sind die Skizzen nur ein Impuls und das tatsächliche Bild bringt mich wieder ganz woanders hin. Sehr wichtig ist mir eigentlich die Übersetzungstätigkeit: Die Übertragung in ein größeres Format beispielsweise oder die Zeit, die ich verbringe, um eine schnelle Idee sehr aufwändig irgendwo anders hinzubringen. Die am Computer entstandenen Skizzen selbst zerschneide ich manchmal oder scanne Details davon ein, die ich dann wiederverwende. Jana Euler übrigens veranschaulicht dieses Ungleichgewicht zwischen flüchtigem gedanklichem Impuls und der irgendwie „fleißigen“ Umsetzung und die sich daraus ergebende Spannung besonders gut.

Wieso ist es dir wichtig, die junge Malerin in deinem System von Referenzen zu erwähnen?

Ihre formalen Lösungen überraschen mich und viele Bilder legen unterschiedliche Fährten und die Bilder scheinen einander im Zwischenraum – sowohl im gedanklichen als auch auf der Ausstellungswand – zu vervollständigen. Es sind jetzt schon einige Namen gefallen und es entsteht der Eindruck, dass ich mein Tun ständig diesem Referenzsystem einschreibe. Natürlich ist der „Austausch“ mit den erwähnten Künstler*innen ein stiller und vor allem ein imaginierter. Außerdem finden diese Vorgänge meistens nicht im Atelier statt, wo es praktischer abläuft und um Bildfindungen geht, sondern eher davor und danach.

Vielleicht können wir in dem Zusammenhang über einige kunsthistorische Zitate auf deinen Bildern sprechen: Die Pferde aus Giorgio De Chiricos Spätwerk tauchen beispielsweise wiederholt auf. Welche Bedeutung haben sie für dich?

Seine Bilder mit meinen in Verbindung zu bringen war das Ergebnis eines weiteren Versuchs, der meinem sonstigen Vorgehen widersprechen sollte. Auch jetzt stresst es mich ein bisschen, dieses Vorgehen zu beschreiben. Jedenfalls wollte ich den vorher beschriebenen distanzierten Zugang damit ausgleichen, etwas einspielen, was mir gefällt. Die Vorstellung, Kunstgeschichte eklektizistisch zu verarbeiten, bereitet mir Unbehagen. Gerade das habe ich aber gemacht. De Chirico schätze ich natürlich und seinen ikonographischen Zugang. Sein späteres Werk ist sehr autonom und irgendwie entkoppelt; Auch bei Martial Raysse gibt es, ausgehend von einer ähnlichen Avantgarde-Position, diese Bewegung und sein auch selbst so beschriebenes Faible für Hobbymalerei-Formulierungen; oder wenn man an die von Softpornos ausgehenden Malereien von Picabia denkt … Vielleicht sollte daher der vorher im Post-Internet-Zusammenhang beanspruchte „Neo-Konservativismus“ zurückgenommen werden und damit erklärt werden, dass sich die „gelockerten“ Spätwerke vom Fortschritt lossagen.

Die Pferde stehen also für die Loslösung von selbstauferlegten Einengungen?

Sowohl die Pferde als auch die antiken Säulen beispielsweise sind eine Herausforderung für die informierten Betrachter*innen, die sich etwas anderes erwarten, aber auch für den Künstler selbst: die Avantgarde-Erfahrung oder sagen wir die Zuwendung zum Historischen hat etwas Befreiendes mitunter auch Trotziges. Das Tabu, Pferde so zu malen, ist auch jetzt noch ein wenig aufrecht. Ich zitiere also sowohl die Sujets, als auch den Tabubruch.

Zusammengesetzt werden diese unterschiedlichen, malerischen, kunsthistorischen oder zunächst fotografierten Elemente ähnlich wie bei einer Collage.

Bei den Malereien? Ja. Wichtig ist mir allerdings die malerische Oberfläche bei den Bildern, die natürlich auf der Collage-Erfahrung aufbaut. Aber auch hier ist es eigentlich weniger der Illusionismus, der der Collage innewohnt, der mich interessiert, sondern mehr der abstrakte Moment der Collage, wo der Prozess des Machens genauso sichtbar wird wie die Illusion.

Geht es bei der Collage im Allgemeinen nicht genau darum, die Illusion zu zersetzen und aufzuzeigen, dass die Welt/die Realität nur fragmentarisch wahrnehmbar ist?

Bei der Malerin Hannah Höch beispielsweise erzeugt ein überdimensionales Auge mit Füßen sofort die Illusion einer Figur. Auch wenn die Machart darauf hindeutet, dass es konstruiert ist, aber die Illusion, die erzeugt wird, ist dennoch sehr effektiv.

Du hast vorhin mal von „Auflösung“ gesprochen und ich habe den Eindruck, dass das auch über eine gewisse Unübersichtlichkeit passiert. Oder wie siehst du das?

Ich bin mir nicht sicher. Was du Unübersichtlichkeit nennst, nenne ich jetzt mal Stolpersteine oder Verhinderungsmoment und die sind für mich mehr ein Tool, um weiterzukommen. Wenn das Bild fertig ist, möchte ich diese Stolpersteine eigentlich ausgeräumt haben, auch wenn ich auf den Bildern sehr wohl Widersprüche aufeinandertreffen lassen will.

Ich meine mit Unübersichtlichkeit eher, dass es auf deinen Bildern nicht nur ein Bildzentrum gibt.

Vielleicht ist das ähnlich wie bei der Frage zur Geste. Ich war immer vorsichtig, weil ich nicht wusste, ob ich sie genug meine. Ähnlich entlastend ist es, nicht nur die eine Bildidee zu haben, die so legitim sein muss, dass man sie umzusetzen kann. Sondern dass mehrere Setzungen in einem Spannungsverhältnis zueinanderstehen.

Diese Dezentralisierung des Blicks zeigt aber auch wie die Wahrnehmung, inklusive der medialen Bildüberforderung funktioniert?

Natürlich, die Möglichkeiten der Wahrnehmung und der Darstellung werden von mir stark mitverhandelt. Aber wenn ich fertig bin, bin ich beruhigt. Es gibt keine totale Kontrolle über die Bildinhalte, aber die Beruhigung brauche ich.

Deine Skepsis gegenüber Behauptungen von Subjektivität oder Authentizität ist unübersehbar. Dazu fällt mir ein, dass du in dieser Publikation einen Teil deiner Bilder in Schwarzweiß abdrucken möchtest. Hat dieses „Relativierungsmoment“, wie du selbst es nennst, auch mit der Subversion dieser Behauptungen von Authentizität oder Original zu tun?

Der Impuls war eigentlich ein historischer, apropos Nostalgie. Ich habe Kunstbücher gesehen und von einem älteren Künstlerkollegen erfahren, dass seine ganze Generation die klassische Moderne, die damals aus Paris gekommen ist, anfangs nur über Schwarzweiß-Kataloge kennengelernt hat. Das fand ich interessant, dass man sich damals die Malereigeschichte der klassischen Moderne über Schwarzweiß-Abbildungen angeeignet hat. Das war die eine Überlegung, aber ich finde es auch interessant, was übrigbleibt, wenn meine Bilder Schwarzweiß sind.

Was ist das Interessante daran?

Es könnte sein, dass es damit zusammenhängt, dass ein Photoshop-Filter sehr schnell genau das eliminiert, was einen vorher so lange beschäftig hat.

Das heißt, die Farbe macht alles komplizierter?

Vermutlich, und die Erlösung von dieser Komplexität, die sich aber auch beim Malen gegen Ende einstellt, ist an und für sich natürlich schon ein spannender Vorgang. Eigentlich ist es ja nur ein Photoshop-Filter, der das Bild umrechnet, aber dennoch gibt es anscheinend unzählige Möglichkeiten ein Bild Schwarzweiß zu machen. Natürlich stellt sich die Frage, was dann sichtbar werden soll über diese Umwandlung. Flächen, die in einem starken Farbkontrast zueinanderstehen, können im Graustufen-Modus einander sehr ähnlich werden oder sich angleichen, da kann man zum Beispiel gegensteuern.

Welche Bedeutung hat die Farbe in deiner Malerei?

Es tauchen viele Industriefarben in meinen Bildern auf. Werkzeug-Behälterfarben und Farben anderer Materialien, die mich im Atelier umgeben, vielleicht auch hier der Realismus, das Fremde im gewachsenen Farbraum. Auch die aus den ausgedruckten Skizzen stammenden Farben sind sehr konkrete Farben in dem Sinne, dass die für die Leinwand nachgemischten, den ursprünglichen Farben auf den Ausdrucken entsprechen.

Wir haben jetzt noch gar nicht über deine abstrakteren Arbeiten gesprochen. In welcher Beziehung stehen die abstrakteren und gegenständlicheren Arbeiten?

Wenn ich etwas Realistischeres gemacht habe, musste ich zum Ausgleich etwas Abstraktes machen, früher hing das noch stärker von der Tagesverfassung ab. Aber mittlerweile kann ich länger mit einer mutmaßlichen Ausrichtung leben und muss diese nicht sofort ausgleichen. Die Erkenntnis, dass nicht alles in einem Bild ausgedrückt werden muss, sondern dass man das aufteilen kann, war für mich sehr erleichternd. Das heißt, ein Bild kann nicht gleichzeitig laut und leise sein, es muss sich entscheiden.

Entstehen sie parallel?

Nein, eher hintereinander, aber sie ermöglichen einander. Das sind Bewegungen hin und wieder weg von etwas. Ich fühle mich auch wohl in einem Missverständnis oder Dilemma bis die Bewegung wieder in eine andere Richtung geht. Im Grunde wird über den Prozess des Machens und der Wiederholung auch die Frage, ob ein abstrakter Raum über einen gegenständlichen behauptet werden kann, auch irgendwann irrelevant.

Das heißt, die Praxis selbst ist die Lösung für das Dilemma gegenständlich oder abstrakt?

Ja.